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Wie viel Zeitgeist steckt im deutschen Schlager?

Seichte Texte, simple Melodien, stumpfe Reime – dem deutschen Schlager haftet nicht gerade ein tiefgründiges Image an. Die bekanntesten Songs sind Party-Hymnen oder Schunkel-Hits, die eine gesellschaftskritische Haltung weitestgehend vermissen lassen. Wie steht es um den Zeitgeist des deutschen Schlagers? Muss oder darf er aktuelle gesellschaftliche Probleme aufgreifen?   „Ein bisschen Spaß muss sein!“ Auch […]

Roland Kaiser
Credit: © Schlager.de

Seichte Texte, simple Melodien, stumpfe Reime – dem deutschen Schlager haftet nicht gerade ein tiefgründiges Image an. Die bekanntesten Songs sind Party-Hymnen oder Schunkel-Hits, die eine gesellschaftskritische Haltung weitestgehend vermissen lassen. Wie steht es um den Zeitgeist des deutschen Schlagers? Muss oder darf er aktuelle gesellschaftliche Probleme aufgreifen?

 

„Ein bisschen Spaß muss sein!“ Auch wenn dieser altbekannte Hit der Schlagerikone Roberto Blanco aus den 1970er Jahren stammt, ist es bisher noch keinem anderen Lied gelungen, den Geist der Schlagerbranche so gut in Worte zu fassen. Schlager ist Musik zum Mitwippen, Mitklatschen, Mitschunkeln. Er vermittelt, meistens humorvoll und selbstironisch, die pure Freude am Leben. Doch ist und kann Schlager nichts anderes als gute Laune im Viervierteltakt?

Historische Gesellschaftskritik im Schunkel-Rhythmus

Zumindest historisch gesehen gibt es einige Beispiele für gesellschaftskritische Schlager. Die politischen Umbrüche der 1970er Jahre griffen die Ängste der Menschen vor dem Hintergrund des Vietnam-Krieges und des Kalten Krieges in zahlreichen Songtexten auf. „Ein kleines Lied vom Frieden“ (1971) von Katja Ebstein oder Peter Maffays „Frieden“ (1972) sind nur zwei Beispiele dafür. Gesellschaftliche Tabus und sich wandelnde Moralvorstellungen fanden ebenfalls ihren Weg in die Schlagertitel, zum Beispiel mit „Am Tag, als Conny Kramer starb“ (1972) von Juliane Werding. Noch vor dem Erscheinen von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ setzt sich das Lied in ziemlich offener und eindeutiger Sprache mit dem Thema Drogenmissbrauch auseinander. Allerdings war so ein polarisierendes Musikstück auch damals eher die Ausnahme. Werding soll kritisiert haben, dass die deutsche Schlagerwelt überwiegend aus „Schallala und Trallala“ bestanden habe.

Der Vater des gesellschaftskritischen Schlagers im deutschsprachigen Raum ist Udo Jürgens. Seine Songs, deren Texte (oft von Michael Kunze geschrieben) auch Freunde anderer Musikrichtungen mitsingen können, greifen immer wieder gesellschaftliche Probleme der jeweiligen Zeit auf. Das bekannteste Beispiel ist „Griechischer Wein“ (1974), der das Heimweh der Gastarbeiter auf deutschem Boden thematisiert. Nicht zuletzt übte er auch soziale Kritik, etwa am spießbürgerlichen Leben in „Ein ehrenwertes Haus“ (1975) oder „Ich war noch niemals in New York“ (1982) und sogar an den politischen Zuständen in „Lieb Vaterland“ (1971).

Aktuelle Debatten schaffen es nicht aus den Medien in die Songtexte

Wie steht es in dieser Hinsicht aktuell um den Schlager? Von gesellschaftskritischen Themen ist in den Schlager-Charts momentan wenig zu sehen. Szene-Ikone Roland Kaiser bemängelt im Interview mit schlager.de, dass er Zeitgeist und Gesellschaftskritik vermisse. So einen Standpunkt hörte man bisher nur von den Amigos, die in ihren Texten mitunter von Kindesmissbrauch und häuslicher Gewalt sprechen.

Wie aktuell sind die Themen, die in den heutigen Schlagern angesprochen werden? Von der Feminismus-Debatte, die seit langer Zeit schon weltweit in den Medien diskutiert wird, ist im Schlager nicht viel angekommen. Romantisch-kitschige Liebesmetaphern, seit jeher aus dieser Musikrichtung bekannt, bestimmen das Bild. Die Rapperin Sookee kritisiert in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass in Schlagertexten die gleiche frauenfeindliche Haltung auftauche wie in vielen Rap-Songs.

Ein weiteres wichtiges Thema der gesellschaftlichen Debatte ist zurzeit der Datenschutz, der durch die Datenschutzgrundsatzverordnung (DSGVO) und die ePrivacy-Verordnung der Europäischen Union in aller Munde ist. Auch wenn es in den letzten Jahrzehnten diverse musikalische Interpretationen des Themas Überwachung und Datenschutz gab, fehlt diese Perspektive im Schlager völlig. Obwohl sich die Stars der Szene, wie zum Beispiel Beatrice Egli, ganz selbstverständlich über die sozialen Netzwerke austauschen: Das Internet, die digitale Kommunikation und technische Neuheiten haben anscheinend keinen Platz in den Schlagertexten. Anglizismen werden auch von den jüngeren Sängern so gut wie nie eingesetzt.

Bedeutet das, dass kein Zeitgeist im deutschen Schlager steckt? Allein dadurch, dass es der Schlagermusik immer noch gelingt, ein junges Publikum anzusprechen, lässt sich diese Aussage verneinen. Schlager sind der Soundtrack vieler Party-Hochburgen wie Mallorca und stürmen regelmäßig die deutschen Charts. Dass gesellschaftskritische Töne in der aktuellen Schlagerwelt so gut wie nicht vorhanden sind, sagt nichts über die musikalische Qualität der Lieder aus. Vielmehr geht es darum, welchen Anspruch die deutsche Schlagerszene an sich und an ihre Fans hat. Wenn dem Publikum reine Spaßmusik gefällt, sollte man sich lieber fragen, was das über unsere heutige Gesellschaft aussagt. Denn dass Schlagerinterpreten imstande sind, gesellschaftliche Kritik humorvoll und musikalisch gekonnt zu verarbeiten, hat sich historisch bereits bewiesen.